Wenn Sie eine Bachelor- oder Masterarbeit verfassen, kommen Sie kaum umhin, Unmengen wissenschaftliche Paper zu lesen. Bei mir waren es so viele, dass ich irgendwann aufgehört habe, zu zählen. Doch eine Studie zu meiner Bachelorthesis ging mir nie wieder aus dem Kopf, da das Thema von großer praktischer Relevanz ist. Es geht um das Paradoxon des Pendelns. Paradoxien dienen in Literatur und Philosophie als Stilmittels zur Vermittlung komplexer Ideen. Es sind scheinbare Widersprüche, über deren Entschlüsselung die zugrundeliegende Wahrheit enthüllt werden kann.
Die ökonomische Hypothese und damit Grundannahme der Studie ist: Menschen pendeln, um ein ihre Gesamtnutzenbilanz zu verbessern. Einfacher: Um ein besseres, also glücklicheres Leben zu führen. Pendeln eröffnet verbesserte Gehaltsmöglichkeiten am Berufsort, das Leben außerhalb der Ballungszentren ist oft günstiger. Das rationale Individuum würde somit stets einen Gleichgewichtszustand zwischen Wohn- und Arbeitssituation anstreben, folglich dürften zeitliche und monetäre Kosten des Pendelns den Zusatznutzen in Form und Geld, besserem Job oder schönerem Haus am Waldrand nicht übersteigen. Simpler formuliert: Niemand bei klarem Verstand entscheidet bewusst für das Pendeln, wenn es das Leben garantiert verschlechtert.
Diese Gleichgewichtshypothese wurde getestet, und das Ergebnis war überraschend: Pendler sind durch die Bank physisch und psychisch schlechter dran als jene, die einen sehr überschaubaren oder keinen Weg zur Arbeit haben. Und zwar auch dann viel schlechter, wenn man alle Vorteile des Pendelns in die Gleichung einbezieht, die ja meist ausschließlich monetärer Art sind. So sind vor allem Pendler, die mehr als 30 Minuten pro Fahrstrecke zur Arbeit benötigen, signifikant messbar gestresster, haben ein höheres Risiko für Herzinfarkte und andere durch Stress hervorgerufene Erkrankungen, sind öfter aggressiv, depressiv und haben durch das erhöhte Level an Cortisol im Blut eine gestiegene Gefahr, an Diabetes zu erkranken und unter Schlafstörungen zu leiden. Das klingt jetzt dramatisch, doch die medizinisch-psychologische Forschung liefert hier fundierte Ergebnisse, die eindeutiger kaum sein können.
Durch die Bank analysiert die Studie, unabhängig von der aus dem Pendeln resultierenden verbesserten Jobsituation, dass Pendler eine signifikant niedrigere Zufriedenheit mit ihrem Leben haben, öfter krank sind und aufgrund der fehlenden Zeit schlechtere familiäre Bindungen haben. Warum ich das hier so dezidiert ausbreite? Weil Pendeln für (zu) viele zum Alltag zählt. Immerhin fast 30% der Deutschen pendeln die kritische Zeit von mehr als 30 Minuten pro Weg und sind oft im Glauben, dies lohne sich. Natürlich tun sie das: Das höhere Gehalt ist messbar, das Haus im Grünen fernab der Stadt fühlbar, doch die negativen Konsequenzen treten oft erst nach Jahren und zuvor nur diskret in Erscheinung. Wir überschätzen konsequent den Nutzen und unterschätzen in gleicher Konsequenz die Kosten des Pendelns. Denn seien wir ehrlich: Was bringt der bestbezahlte Job, wenn uns der Weg zu diesem krank macht. Mein Appel daher: Wenn Sie es nicht unbedingt müssen, meiden Sie das Pendeln. Oder halten Sie es unter 18 Minuten pro Fahrtstrecke. Hier sind die Auswirkungen weit weniger signifikant. Dann, und nur dann, kann sich Pendeln möglicherweise lohnen.
Herzlichst
Ihr P. Busch
aus: Stress That Doesn’t Pay: The Commuting Paradox. Stutzer und Frey, 2004.