Sokrates (geb. 469 v. Chr., gest. 399 v. Chr.) ist einer der ganz großen Namen der etwa 2.500-jährigen Philosophiegeschichte. Er lebte wie viele der antiken Philosophen neben Aristoteles und Platon im alten Griechenland.

Doch unterschied er sich in seiner Art, Philosophie zu betrieben, sehr grundlegend von seinen Mitstreitern. Denn er schrieb nicht. Punkt. Das ist zunächst einmal sehr bemerkenswert, war es doch und ist es bis heute für jede geistige Autorität unerlässlich, seine Ideen auf Papier zu bringen. Sicher entspringt dies primär dem Wunsch, sich selbst zu verewigen und der Nachwelt sein Wissen verfügbar zu machen. Über Sokrates wissen wir lediglich von den Schriften Platons, seines ihn gottgleich verehrenden Schülers, und Aristoteles, dem Erfinder der Metaphysik.

Sokrates betrieb Philosophie anders: Für ihn gehörte Philosophie auf die Straße. Akademischer Betrieb war ihm ein Greul. Er schlenderte fast jedes schönen Tages über den Marktplatz von Athen und verwickelte seine Mitmenschen in Gespräche. Gern tat er dies gerade mit Mitgliedern hohen Standes und Wissens, denn das Ziel der sokratischen Dialoge war stets, dem Gegenüber sein Nichtwissen aufzuzeigen. Mit bohrenden, pointierten Fragen entlarvte er das vermeintliche Wissen seines Gegenübers als unvollständig, unkorrekt oder gar falsch. Doch dem lag keine Profilierungsabsicht zu Grunde. Denn der oftmals erzürnte Gesprächspartner, ein geachtetes Mitglied der Athener Gesellschaft, der hier bloßgestellt wurde, erwiderte oftmals: „So glaubst du zu sehen, dass ich nichts weiß. Was aber, gar dich weise nennender Sokrates, glaubst denn du zu wissen? Denkst du, dein Wissen sei dem Meinen überlegen“? Und hier gelangen wir zum Kern der Lehre und seinem berühmten Zitat „Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Denn Sokrates glaubte selbst nicht, etwas zu wissen, doch war er sich seines Nichtwissens wenigstens bewusst. Er wusste, so ließ er verlauten, nur diese eine Winzigkeit mehr als alle Anderen, denn eben dies, dass er nichts weiß. Und in dieser Einsicht, dieser bedeutenden Kleinigkeit, wusste er in der Tat mehr als alle Gelehrten Athens.

Was meinte Sokrates damit, nichts wissen zu können? Und noch viel spannender: Was hat Sokrates mit Autos zu tun?

Zunächst einmal kann man natürlich etwas wissen. Doch alles Wissen ist relativ, sogar wichtige mathematische und naturwissenschaftliche Gesetze sind vom Menschen geschaffen. Wir kennen Sie, aber müssen sie stimmen? Wissen wir wirklich, wo wir herkommen? Wo wir hingehen? Warum wir auf dieser schönen Welt sind? Kennen wir das Wunder der Natur? Des Menschseins?

Man muss es gar nicht so groß fassen. Sie interessiert ein bestimmter Begriff. Wikipedia ist genial. Doch in dem Artikel sind etwa 30 Wörter blau mit einer separaten Erklärung, die sie alle nicht wirklich definieren könnten. Und in jedem dieser Artikel weitere 20….und so weiter. Je weiter Sie einsteigen, desto mehr wird ihnen ihr eigenes Nichtwissen klar.

Das nennt man auch das Paradox des Wissens: Je mehr jemand weiß, desto klarer wird ihm, wie wenig er weiß. Denn er hat Einsicht in die unzähligen Wissensbereiche in ihrer Tiefe und wird erkennen, dass sein eigenes Wissen gegenüber den gigantischen Möglichkeiten des Wissens eigentlich nichtig ist. Wenn wir ganz ehrlich sind: Eigentlich wissen wir nichts. Und wissen Sie, was das Schöne ist: Genau diese Erkenntnis macht frei. Denn nichts zu wissen heißt, neugierig zu bleiben. Die Welt ist offen, denn wie ein Kind, dass von der Welt nichts weiß, verlieren wir unser Staunen nicht. Nichts zu wissen heißt nicht, nicht lernen zu wollen. Ganz im Gegenteil. Wenn wir glauben, etwas sicher zu wissen, sind wir „mit dem Kapitel durch“. Wir wissen ja Bescheid. Beschäftigen uns damit nicht weiter. Je mehr wir zu wissen glauben, desto kleiner wird unsere Welt.

Wie hier Autos rein gehören, können Sie sicher bereits erahnen: Das Thema Auto ist geradezu prädestiniert, um als Wissen getarntes Nichtwissen zu entlarven. Es gibt überall selbst ernannte Experten, die laut eigener Aussage alles über eine bestimmte Marke, die Technik oder die Geschichte des Automobils wissen. Und ja: Es gibt selbstverständlich jene, die sich durch intensivste Auseinandersetzung mit der Thematik einen gewissen Fundus an Wissen angeeignet haben. Doch wenn ich an dieser Stelle mal von mir selbst sprechen darf: Ich beschäftige mich nun seit 30 Jahren fast jede freie Minute mit meinem allerliebsten Thema und lerne doch jeden Tag was dazu. Ehrlich gesagt weiß ich gar nichts. So viele nicht mehr existierende Marken mit so vielen Geschichten dahinter. So viele technische Errungenschaften großer, vergessener Pioniere des Automobilbaus. Unzählige sich wechselseitig beeinflussende Determinanten, die auf jede Marke und jedes einzelne Modell einwirken. Die Liste ließe sich ewig fortsetzen.
Für mich ist die Akzeptanz des Nichtwissens der Schlüssel, um jeden Tag neue Erfahrungen zu machen. Zu lernen. Mich zu entwickeln. Wer glaubt, etwas sicher zu wissen, wird dieses „Wissen“ unter allen Umständen verteidigen wollen. Hier kann niemals Raum für neue Erfahrungen entstehen.
In diesem Sinne: Wenn auch Sie nun daran zweifeln, ob sie über die 126er Baureihe von Mercedes wirklich alles wissen, so ist es besser, wenn Sie dies verneinen können. Denn dann wird es ab heute wieder interessant.
Herzlichst
P. Busch

Zum Weiterlehen:

„Kleine Geschichte der Philosophie“ von Volker Spierling. Kurzweilig und sehr spannend, alle großen Philosophen kommen zu Wort. Auch Sokrates. Dazu Einblick in die gesamte Philosophiegeschichte.