Erstveröffentlichung 2019, bearbeitet am 27.12.2023

Lucuis Annaes Seneca war einer der bedeutendsten Schriftsteller und Philosophen seiner Zeit. Geboren um 4 v. Chr. in Spanien, wanderte die Familie nach Rom aus, wo er sich ganz dem Studium der Philosophie widmete. Er kam mit der Philosophie der Stoa in Verbindung, die ihn ganz und gar in seinen Bann zog und zu dessen Hauptvertreter er wurde.

Die Stoische Philosophie verstand das glückselige Leben in einer Kontrolle allzu großer Erregungen des Gemüts, überbordender Leidenschaften, praktiziertem Asketismus sowie Vernunft und Tugend. Das glückliche Leben wurde mit dem tugendhaften Leben gleichgesetzt, welches auch hartnäckiger ethisch-moralischer Prüfung standzuhalten habe. Nur so könne man nach dem Prinzip der Stoa das höchste Glück, die Seelenruhe (Ataraxia) erreichen. Es galt allen voran, Unveränderliches mit der Gelassenheit um das Wissen der Unabwendbarkeit von Schicksalsschlägen anzunehmen und sich den Gesetzen von Natur und Kosmos zu fügen.

Seneca stieg zu einem der mächtigsten Männer Roms auf. Er war Hauslehrer des Kaisers Nero, bei dem er jedoch später in Ungnade fiel und sich auf Befehl Neros das Leben nehmen musste.

Für Seneca war der Neid einer der sträflichsten menschlichen Eigenschaften, die es zu überwinden galt. So ist von ihm, unter Anderem reichhaltig zitiert in den Werken Schopenhauers, der Satz überliefert:

„Niemals wirst du glücklich sein, wenn es dich quält, dass ein Anderer glücklicher ist“.

Was genau meinte Seneca damit? Und was hat das in einem Blog über Autos zu suchen?

Die Antwort liegt auf der Hand: Niemand wird gewisse dualistische Ambivalenzen in unserem liebsten Hobby leugnen können. Auf der einen Seite markenübergreifende, offene Clubs. Eine große, lebendige Gemeinschaft mit einem gemeinsamen Nenner: Dem Auto. Auf der anderen Seite jedoch herrschen streng hierarchische Gesetzmäßigkeiten: Da neidet der Camaro Z/28 Besitzer dem Typ neben ihm seinen Hemi Cuda, schielt an der Tankstelle der eigentlich stolze Boxster Besitzer auf den Kerl im 997 Turbo und beäugt der 328i Coupé Fahrer missgünstig den M3 an der Ampel neben ihm.

Kaum eine Leidenschaft, so scheint es, ist derart neidbeherrscht wie unser liebstes Hobby. Wir neiden dem Nachbarn den neuen Mercedes, dem Angeber drei Straßen weiter den Porsche und den Superreichen ihre Supercar Sammlungen. Doch zunächst einmal gilt im Sinne Senecas zu betrachten: Was sind die Auswirkungen jener „Gemütsbewegungen“ auf mein Leben? Kann jener, der neidet, ein Leben in Seelenruhe nach stoischem Vorbild leben?

Zunächst scheint klar: Wer neidet, der schadet einzig und allein sich selbst. Denn die negative Energie wird vom Beneideten höchsten fragmentarisch wahrgenommen, jedoch selten wirklich gefühlt. Die negative Emotion hat allein jener, der neidet. Oder anders ausgedrückt: Können Sie auf einer schönen Ausfahrt mit ihrem MGB gleichzeitig die Fahrt genießen UND dem Gegenüber seinen Jaguar E-Type neiden? Genau. Neid verdrängt Freude, und dies äußerst zuverlässig. Neid ist unersättlich, denn aller Wahrscheinlichkeit sind Sie weder Abramowitsch noch Bezzos. Und werden daher tagtäglich mit Menschen oder Objekten konfrontiert, die ihren Neid entfachen. Es kann schon mächtig anstrengend sein, sich so viel zu ärgern.

Zudem liegt dem Neid ein spannender Irrtum zu Grunde: Denn tatsächlich beneiden wir unsere Mitmenschen zumeist um Hab und Gut. Doch ganz nach Goethe ist „das höchste Glück die Persönlichkeit“. Wissen wir überhaupt, ob der Porschefahrer die Genussfähigkeit besitzt, um wahre Fahrfreude zu empfinden? Was sind Haus und Auto wert, wenn dem Eigner schlicht die oftmals gottgegebene Gabe fehlt, die Materialität auch mit Liebe und Leben zu füllen? Sich daran zu erfreuen? Dann bleibt es bloß stumpfe Materialität, Besitz ohne Wert, und darum muss man sicher niemanden beneiden.

In allem und bei allem“, so Schopenhauer sehr treffend, „genießt man stets sich selbst.“ Wer sich selbst ungenießbar ist, wird an nichts Freude haben.

So sollten wir, wenn wir überhaupt neiden, den Gegenüber um seine „vorzüglichen und vornehmen Charaktereigenschaften“ (Goethe) beneiden. Oder jene Genussfähigkeit, die wir automatisch und fälschlich mit Besitz gleichsetzen. Und uns zum Ziel setzen, diese auch uns zugänglich zu machen. Diese Art von Neid ist dann nicht mehr destruktiver Natur, sondern vermag uns zu motivieren, ein besserer oder freudvollerer Mensch zu werden. Ein Mensch, der gar keiner großen Dinge mehr bedarf, um große Freude zu empfinden.

Sie können die Perspektive gar umdrehen: Vielleicht sieht Sie der Ferrari Fahrer in ihrem E36 320i Cabrio, wie Sie freudestrahlend den sahnigen Reihensechser über 5.000 Touren drehen, lautstark ihren Lieblingssong mitsingen und denkt: „Was für ein beneidenswerter Mensch, der an so Wenig so viel Freude haben kann. Könnte ich doch auch so fühlen“.

Es sind fast immer die kleinen Dinge, die großes Glück stiften.

Wissen Sie, wie oft Sie schon beneidet wurden, ohne es bemerkt zu haben? Neid in Freude zu verwandeln, ist leichter als man denkt. Denn da wir nie wissen können, was der Gegenüber empfindet, verbleibt als Neidobjekt nur noch das Objekt an sich. Doch ist es nicht einfach schön, ein Riva Boot, einen Aston Martin, eine Barockvilla oder ein elegantes Designerkleid zu sehen? Erfreuen wir uns, wo wir nun wissen, dass wir keinen Maßstab für die Freude des Eigners haben, an der rein ästhetischen Schönheit des Objekts. Danken wir den Designern, so etwas geschaffen zu haben. Und trennen wir doch einfach mental dieses Objekt, Kunst im weitesten Sinne, von seinem Besitzer. Denn Hab und Gut sind ohnehin flüchtig, uns nur für einen Wimpernschlag vom Universum überlassen und vielleicht morgen schon wieder weg. Doch die Schönheit, die bleibt.

Sehen wir uns zu guter Letzt Kinder an. Sie sind nicht nur hier unsere besten Lehrer. Wenn ein Sportwagen nur vorbei fährt, können Sie oftmals ihre Begeisterung kaum im Zaum halten. Sie sehen eben einen SPORTWAGEN, nicht den Besitzer dahinter oder die Frage, warum sie selbst oder die Eltern keinen haben oder wie dieser junge Fahrer so früh zu so viel Geld gekommen sein mag.

Vielleicht haben die Kinder in diesem Moment an dem Porsche mehr Spaß, als der Fahrer es je hatte.

Zeit, uns wieder auf das Kind in uns zu besinnen. Wenn Sie also das nächste Mal ein tolles Auto sehen: Versuchen Sie einfach, sich zu freuen. Es ist leichter, als man denkt.

Herzlichst

Ihr Philip Busch

Zum Weiterlesen:

„The Daily Stoic“ von Ryan Holiday. Brillante Lektionen der Stoika für jeden Tag. Kurz, fesselnd, tiefsinnig.

„Selbstbetrachtungen“ von Marc Aurel. Aufzeichnungen von Marcus Aurelius, dem früheren Herrscher Roms und praktizierendem Stoiker. Nie zuvor und nie wieder danach war ein Philosoph der mächtigste Mann der Welt.