Jüngst befand ich mich in der glücklichen Situation, den neuen Ferrari Roma politieren zu dürfen. Was für ein anbetungswürdiges Fahrzeug, pure Emotion, großes Kino – bis? Nun, bis man irgendwas verstellen oder einstellen will. Denn da toucht es sich herrlich patschig ohne Feedback über schwarz lackierte Flächen, sucht man ablenkungsintensiv nach einfachsten Funktionen. Und lässt es irgendwann, um den Blick wenigstens halbwegs auf der Straße halten zu können. Was bei über 600 PS ja auch Sinn macht. Also blieb es bei Schlager, und die Sitzheizung wärmte meinen Allerwertesten trotz sommerlicher Wärme, als wären wir in Nordschweden.
Warum ich Ihnen das erzähle? Weil der Roma kein Einzelfall ist. Viele aktuelle Modelle namhafter OEMs lassen an der alten Kausalvermutung, dass das Neue irgendwie auch besser ist, Zweifel aufkommen.
Beispiele gefällig? BMW hatte das perfekte Bedienkonzept, iDrive. Um es jetzt in Rente zu schicken, damit auch hier auf großen Monitoren gewischt und getoucht werden kann. VW war mal Musterknabe in Sachen Verarbeitung, Ergonomie, Wertigkeit und Bedienung. Der aktuelle Golf kommt im Interieur haptisch nicht ansatzweise an den Golf IV heran, und dessen erste Modelle werden 2027 das H-Kennzeichen tragen. Der VW ID ist innen derart großflächig mit Billigplastik ausgekleidet, dass man sich wie im Playmobil Wunderland vorkommt. Und über die Bedienung aktueller VW-Modelle (Stichworte seien hier, eine erschöpfende Auflistung bedürfte eines eigenen Artikels, Systemabstürze, unbeleuchtete Slider für Temperaturverstellung und wirre Menüstrukturen) wurde in der Fachpresse bereits so viel geschrieben, dass jedes nun folgende Wort eine Wiederholung dessen wäre.
Der Audi A3 war bereits 1996 Musterknabe in Sachen Wertigkeit und Haptik, die aktuelle Generation enttäuscht hier auf ganzer Linie. Er ist nicht nur nicht besser, sondern tatsächlich schlechter als sein über 25 Jahre alter Vorgänger.
Auch beim Daimler ist nicht alles, wie es mal war. Neue Modelle knarzen hier und da gern, edel sieht es nur dort aus, wo der Blick oft hinfällt. Weniger sichtbare Stellen ziert kaum entgratetes Plastik und billige Teppiche, wie wir sie aus dem seligen Hyundai Pony kennen. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Dieser Artikel soll kein Verriss sein. Doch zahlreiche neue Modelle kommen mit derart evidenten Schwächen auf den Markt, dass man sie ganz klar hinter ihren jeweiligen Vorgängern einordnen kann. Meine Liste ließe sich fast unerschöpflich fortsetzen, ich habe hier mal Bedienung und Verarbeitung rausgepickt, um zu pointieren. Man könnte auch Vergleiche hinsichtlich Fahrkomforts, Effizienz, Raumangebot oder Agilität anstellen, das Ergebnis wäre oftmals ernüchternd: Neue Modelle sind nicht zwangsläufig besser als die Alten, nur bis auf wenige löbliche Ausnahmen erheblich teurer.
Wenn Sie mich kennen, dann wissen Sie, dass ich Philosoph bin. Ich habe lange gegrübelt, immer wieder, um dieses Thema philosophisch herzuleiten. Wollte Hegels Dialektik anführen, mit Kant um die Ecke kommen oder die Herkunft des Neuen mit der Theorie des Neuen von Alain Badiou begründen. Doch in diesem Fall scheint es ein rein ökonomisches Paradigma, dass wie folgt lautet: Marktwirtschaft verträgt keine Perfektion. Das muss man wirken lassen.
Stellen Sie sich vor, Sie sind Automobilhersteller und haben das perfekte Produkt. Schön und gut, Sie verkaufen en masse, doch was wollen Sie ihren Kunden als Nächstes bieten? Der Mensch als Konsument lechzt, sie verzeihen meine Verallgemeinerung, konstant nach dem Neuen. Viele von uns langweilen sich mit bestehenden Produkten, auch wenn diese einwandfrei funktionieren. So wird dem Nachfrager geboten, wonach er dürstet. Glück der Produzenten: Menschen sind vergesslich. Sehr vergesslich, sonst würde Politik in einer Demokratie nicht funktionieren. So ist der Reiz eines neuen Produktes, bleiben wir hier bei Autos, derart stark, dass objektive Schwächen gar nicht oder zu spät (nach Kauf) wahrgenommen werden. Dieser Wow-Effekt wirkt am stärksten beim Design: Gerade bei progressiv gestalteten Autos überspielt die Exaltiertheit der Formendsprache die Banalität dahinter. Nur sehen das die Wenigsten, doch damit passen jene Fahrzeuge (nehmen wir mal den 2023er BMW 7er) perfekt in den ökonomischen Zeitgeist. Denn genau dieses Design ist auch jenes, das besonders schnell altert und den Wunsch nach etwas Neuem aufkeimen lässt. Ein Wunsch, den die Hersteller nur zu gern bedienen.
Modernes Downsizing passt ebenso trefflich in die Thematik. Kleine Turbomotörchen sind nur auf dem Papier sparsam, haben jedoch häufig höhere Realverbräuche als großvolumige Saugtriebwerke, sind zudem selten wirklich robust und zuverlässig. Was sie nicht an ihrem Erfolg gehindert hat, denn wer noch einen echten Motor mit Hubraum und ein paar Kolben mehr will, der muss bei den Herstellern ganz oben in der Modellpalette zugreifen. Was sich leider kaum einer leisten kann. Wie schön war da die alte Zeit, nehmen wir BMW: In einem E39 hatte auch der überzeugteste Frugalist einen Reihensechser im 520i unter der Haube. Hier durfte sich auch der Einsteiger über echte Motorenkultur freuen.
E-Mobilität muss in diesen Artikel, denn worum geht es den Herstellern wirklich? Genau. Um Geld. Das Klima ist den OEM´s relativ, denn E-Autos sind nicht sauber, nur weil sie statt Tank eine Batterie haben. E-Autos bieten dem Nachfrager, motorisiert mit Verbrenner und Diesel, seit er denken kann, etwas völlig Neues. Und das ist für den Hersteller ein Segen, denn mit E-Autos entsteht ein Substitutionsbedarf von Millionen von Fahrzeugen. E-Autos sind keinesfalls besser als Verbrenner, auch nicht sauberer und schon gar nicht nachhaltiger (wer ist nicht gespannt, was wir in 30 Jahren mit einigen Milliarden Tonnen Altbatterien machen?), doch E-Autos sind eben völlig neu. Und das erste Wow, wenn Hans Obermüller lautlos in seinem Tesla davonstromert, vermag über so manche Schwächen hinweg zu täuschen.
Was also können wir als Verbraucher tun? Eben das, was man idealerweise vor jeder größeren Kaufentscheidung tut: Den Verstand benutzen und bei aller (durchaus gewünschten) Emotionalität des Themas Auto einen rationalen Vergleich zum bestehenden Modell durchführen. Selbstverständlich gibt es neue Modelle, die ihren Vorgängern in ausgewählten Kriterien überlegen sind. Doch sind diese Kriterien für mich relevant? Klar, dass Adaptivfahrwerk des W214 ist eine Klasse für sich, doch ist mir das Zusatzinvest wert?
Ein neues Modell kann durchaus Sinn machen. Doch es kann ebenso sinnvoll sein, das „alte“ Modell weiterzufahren. Die Nachhaltigkeit, trendiges Wort in 2023, gebietet gar, ein bereits produziertes Fahrzeug möglichst lang zu nutzen, um keine neuen Ressourcen zu binden. Und nicht ganz grundlos entscheiden nicht Wenige ganz bewusst für ein längst abgelöstes Modell, da sie in jenen Modellen, seien es BMW E39, Mercedes W124 oder Audi 100, den qualitativen Zenit der Hersteller verorten. Unterm Strich ist jede Kaufentscheidung höchst individuell und spiegelt die persönlichen Präferenzen des Käufers zum Zeitpunkt der Kaufentscheidung wider. Daher sei hier lediglich geraten: Ein Hyperscreen macht noch kein gutes Auto, extremes Design ist meist nur kurzfristig reizvoll nettes Lederimitat auf dem Armaturenbrett ist keine solide Verarbeitung.