Angenommen, Sie fahren mit ihrem Klassiker oder jedem das Herz berührende Fahrzeug durch eine jener Alleen im Herbst, die so schön sind, als habe nicht Mutter Natur, sondern ein begnadeter Maler hier Hand angelegt. Lauer Wind weht, Blätter wirbeln in bunten Farben durch die Landschaft, im Radio spielt einer dieser Songs, in denen sich das Glück des Moments und die zarte Melancholie der Vergänglichkeit desselben die Hand geben.
Was genau genießen Sie in diesem Moment? Den perfekten Moment, würden die meisten sagen. Den grummelnden Sechszylinder und das Ansauggeräusch der Doppelvergaser, würde es der nächste präzisieren. Diese leicht melancholisch-schöne Herbststimmung, würde ein anderer entgegnen.
Sich selbst, würde Schopenhauer anführen. Und das überrascht. Denn Arthur Schopenhauer (1788-1860) war nicht eben dafür bekannt, eine Philosophie der Freude entworfen zu haben. Er war durch und durch Pessimist, lebenslang geprägt von einer Weltreise in jungen Jahren, auf welcher sich ihm „alles Elend der Welt in der mannigfaltigsten Abscheulichkeit darbot“. Schopenhauer hatte sicher zu viel Elend gesehen, war aber mit der geistigen Tiefe ausgestattet, aus jenem Leid eine ganz eigene, hochspannende Philosophie zu entwickeln. Wer nun den Nihilismus eines Emil Cioran vermutet, der irrt. Denn seine Eudämonologie, die Aphorismen zur Lebensweisheit, ist eine kompakte wie erfrischende Abhandlung über das Glück, die eigentlich so gar nicht zu ihm passt. Und vielleicht gerade deshalb so lesenswert ist.
Folgt man Schopenhauer in seinen Aphorismen, genießt „man bei allem und mit allem stets sich selbst“. Alle externen Quellen des Genusses wirken stets nur mittelbar auf unser Glück, während die uns allzeit begleitende Persönlichkeit unmittelbar wirkt. Die Persönlichkeit ist wie der Filter, durch jenen wir die Welt wahrnehmen. „Es gibt so viele Welten, wie es Menschen gibt“, so wird er gern zitiert. Zu Recht. So lebt doch jeder tatsächlich in seiner eigenen Welt, bei völlig identischer Außenwelt (Objekt) kann seine innerste Wahrnehmung (Subjekt) doch gänzlich verschieden sein und eine vollkommen andere Wirklichkeit produzieren. So stufte bereits Goethe, den Schopenhauer gern und reich zitiert, die Persönlichkeit als das höchste Gut ein, denn diese begleitet uns jede Minute, jede Stunde unseres Lebens. Um bei Goethe zu bleiben:
„Volk und Knecht und Überwinder, sie gestehn zu jeder Zeit, höchstes Glück der Erdenkinder, sei nur die Persönlichkeit“.
Nun haben wir leider einen Großteil dessen, was wir sind und unsere Persönlichkeit formt, nicht in der Hand. Das meiste resultiert aus der Kindheit, wo wir jene Leidenschaften entdecken und erlernen, die uns oft ein ganzes Leben begleiten. Hier formt sich, was wir später sein und lieben werden. Wann also kann man Glück finden? Nun, wenn man ein Leben gemäß jener gegebenen Leidenschaften, passend zu seiner individuellen Persönlichkeitsstruktur leben kann. Denn „Wollen lässt sich nicht lernen“, um Seneca zu zitieren. Vorlieben suchen wir uns nicht aus, sie widerfahren uns. Wir können uns noch so sehr anstrengen, wenn wir Mercedes oder Autos generell nicht mögen, dann ist das eben so. Und kaum etwas wird diesen Umstand ändern. Doch wenn wir eben Autos lieben, auch dies ein beglückender und meist aus einer autoaffinen Kindheit resultierender Zustand, so gibt es nichts Schöneres, als diese Wesensart zur Entfaltung zu bringen. Einfach ausgedrückt: Wer Autos liebt, tut gut daran, diese Liebe auch in sein Leben zu bringen. Am besten beruflich, sonst wenigstens in der Freizeit. Ja, auch wenn die Gattin das für sinnlos hält. Denn aus ihrer individuellen Sicht hat ihre Frau Recht: Für Sie machen Autos keinen Sinn. Müssen sie auch nicht. Doch wenn ihnen ihre Kindheit die Liebe zu Autos geschenkt hat, dann will, nein muss sich diese Leidenschaft entfalten. Alles andere ist der sichere Weg zum Unglück.
Um auf die Frage eingangs zurückzukommen: Auf dieser wunderschönen herbstlichen Ausfahrt genießen Sie wie bei jedem Genuss ihre eigene Persönlichkeit, um es genauer zu fassen: Die Möglichkeit, ihre Liebe zu Autos, Natur, Musik zur Entfaltung zu bringen. Der Moment schafft nur die Bühne, doch es ist ihre eigene subjektive Welt, durch welche die Wirklichkeit des Moments entsteht. Solche Momente beglücken deshalb, weil objektive und subjektive Welt in Harmonie stehen. Das Äußere spiegelt ihr Innerstes und kaum etwas ist Schöner, als sein Innerstes zur Entfaltung bringen zu können. Daher mein Appell: Was auch immer Sie lieben, leben Sie es. Denn das sind sie. Und das kann und darf Ihnen niemand nehmen.
Herzlichst
Ihr P. Busch